1. März 1933
Der Wahlkampf geht in seine Endphase. Die Abteilung Kriegsopferversorgung der Frankenthaler NSDAP organisiert im Brauhauskeller eine Kriegsopfer-Versammlung. Der Redner, ein Herr Schickedantz aus Kaiserslautern, verspricht, dass sich die Regierung Hitler "segensreich" auf die Kriegsopfer auswirken werde.
2. März 1933
Bei den Frankenthaler Kommunisten Ludwig Westermann, Emil Weiss und Heinrich Berger führt die Polizei Hausdurchsuchungen durch und beschlagnahmt zahlreiche Plakate, Zeitungen, Handzettel und Bücher. Rechtliche Grundlage ist die Reichstagsbrandverordnung.
2. März 1933 abends
Beim Katholischen Frauenbund Frankenthal spricht die Landtagsabgeordnete der BVP Klara Barth aus Ludwigshafen. Sie wirft Hitler vor, das deutsche Volk in "eine nationale und eine unnationale Front" zu zerreißen und fordert die anwesenden Frauen auf, am 5. März für die katholischen Parteien Zentrum und BVP zu stimmen.

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3. März 1933
SPD, Reichsbanner und Eiserne Front beschließen ihren Wahlkampf mit einem Demonstrationszug durch Frankenthal und einer großen Versammlung in Pfisters Festhalle. Sie wird von 3.000 Menschen besucht und zeigt noch einmal, wie stark die Sozialdemokratie in Frankenthal organisiert ist. Redner ist der Reichstagsabgeordnete und Rechtsanwalt Friedrich Wilhelm Wagner aus Ludwigshafen, der auch an der Spitze des pfälzischen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold steht.

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4. März 1933
Die NSDAP beendet den Wahlkampf mit einem Konzert der SA-Kapelle auf dem Marktplatz, der Übertragung von Hitlers Rede in Königsberg durch Großlautsprecher und einem Fackelzug durch die Stadt, an dem sich auch die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, das Bündnis aus Deutschnationaler Volkspartei (DNVP) und Stahlhelm, beteiligt.
Zu einem Zwischenfall kommt es im Neumayerring, wo aus dem Fenster eines Wohnhauses eine leere Bierflasche auf die vorbeimarschierenden Nationalsozialisten geworfen wird. Der Werfer, ein Fuhrmann, wird von der Polizei verhaftet.
5. März 1933
Der Wahltag verläuft ruhig. Es gibt keinerlei Zwischenfälle. Zwar wird die NSDAP auch in Frankenthal stärkste Partei vor der SPD und der gemeinsamen Liste von Zentrum und BVP. Mit 31,5% liegt sie aber deutlich unter dem pfälzischen und dem Reichsdurchschnitt.
Frankenthal Pfalz Reich
SPD 29,6% 16,8% 18,3%
Zentrum/BVP 16,5% 22,7% 13,9%
DVP 2,7% 1,2% 1,1%
Staatspartei 1,1% 0,6% 0,9%
NSDAP 31,5% 46,5% 43,9%
KPD 13,5% 9,0% 12,3%
Sonstige 5,1% 3,2% 9,3%
7. März 1933
Der Eppsteiner Bürgermeister Magin teilt dem Bezirksamt Frankenthal auf Anfrage mit, dass in Eppstein nie eine Ortsgruppe der KPD existiert hat und es im Ort auch keine "Kommunistenführer" gibt.
10. März 1933
Kurz nach Mitternacht suchen die Führer der Frankenthaler Nationalsozialisten Oberbürgermeister Strasser in seiner Wohnung auf und teilen ihm mit, dass die Reichsregierung einen Reichskommissar für Bayern bestellt hat und die NSDAP und ihre Koalitionspartner nun auch in Bayern die Macht übernehmen.
Am frühen Morgen werden von der Polizei, unterstützt durch die SA, die Führer der Frankenthaler SPD, der KPD, des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und die Betriebsratsvorsitzenden der großen Frankenthaler Fabriken verhaftet. Die gesamten Frankenthaler SA- und SS-Stürme, insgesamt ca. 200 Mann, haben Bereitschaftsdienst.

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Um 9:00 Uhr marschieren SA-, SS- und Stahlhelmeinheiten vom Brauhauskeller durch die Bahnhofstraße zum Rathaus, wo auf dem Balkon nach einer Rede des Lehrers Wilhelm Bösing unter den Klängen des Deutschlandliedes die Hakenkreuzfahne und die alte Reichsflagge Schwarz-Weiß-Rot gehisst werden. Danach werden auch an der Reichsbank, dem Finanzamt, der Heil- und Pflegeanstalt, der Bezirkssparkasse, der Post, dem Amtsgericht und dem Landgericht Hakenkreuzfahnen und die alten Reichsflaggen aufgezogen.
Den ganzen Tag über patrollieren Polizei, SA und Stahlhelm durch die Straßen der Stadt. Bei den jüdischen Möbelhäusern Abraham, Weil und Melzer werden von SA-Leuten die Transportautos requiriert. Um 17:00 Uhr erscheinen SA-Leute im jüdischen Warenhaus Tietz in der Wormser Straße und fordern die Schließung des Geschäftes. Nach Rücksprache mit der Stadtverwaltung stimmt die Geschäftsleitung zu.
11. März 1933

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Vertreter der Frankenthaler NSDAP fordern von Oberbürgermeister Strasser die sofortige Entlassung von Bürgermeister Jakob Zaun (SPD). Bleibe er im Amt, so argumentieren sie, könnten sie nicht mehr für Ruhe und Ordnung garantieren. Ihre Anhänger würden keinen sozialdemokratischen Bürgermeister mehr akzeptieren. Dass er demokratisch gewählt ist, interessiert sie dabei wenig. Strasser empfiehlt seinem Stellvertreter daraufhin, vorübergehend Urlaub zu nehmen. Zaun folgt seinem Rat.
Tietz öffnet das Geschäft wieder.
In der Synagoge gedenken die Frankenthaler Juden der Gefallenen des Ersten Weltkrieges.
12. März 1933
Bürgermeister Zaun, die Geschäftsführer des Deutschen Metallarbeiterverbandes, Christian Thumm und Georg Römuß, sowie mehrere Mitglieder des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold werden verhaftet.
Um 11:00 Uhr ziehen SA, SS und Formationen der NSDAP zum Friedhof, wo der Kaufmann Hans Scholl, der Vorsitzende der Frankenthaler NSDAP, einen Kranz mit Hakenkreuzschleife zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges niederlegt.
Am Abend marschieren SA, SS und Stahlhelm dann zum Marktplatz. Vor dem Rathaus werden die schwarz-rot-goldenen Fahnen, die zwei Tage zuvor bei den Behörden eingesammelt worden waren, unter dem Jubel einer "großen Menschenmenge" verbrannt.
Zur gleichen Zeit veranstalten auch die katholischen Vereine und Organisationen im Lokal Brunner eine "Kriegergedächtnisfeier" zur Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. In seiner Rede weist Bezirksjugendleiter Breyer darauf hin, dass auch die Katholiken während des Krieges ihre "nationale Pflicht in vollem Maße" erfüllt haben.

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13. März 1933
Die Fahnen, die am 10. März auf dem Rathaus gehisst worden waren, werden von Abordnungen der SA, der SS und des Stahlhelm wieder eingeholt. Danach marschieren SA, SS und Stahlhelm zum Progymnasium und zu allen anderen Frankenthaler Schulen und hissen dort ebenfalls Hakenkreuzfahnen und die alte Reichsflagge.
Aus den SA- und SS-Einheiten, die seit dem 9. März in Bereitschaft stehen, werden 37 SS- und 27 SA-Männer ausgewählt und offiziell zu Hilfspolizisten ernannt. Hinzu kommen noch acht Vertreter des Stahlhelms.
14. März 1933
Der Frankenthaler Lehrer Wilhelm Bösing wird von SA-Pfalzkommissar Schwitzgebel zum Beauftragten der Obersten SA-Führung für die Stadt und das Bezirksamt (Landkreis) Frankenthal ernannt. Er wird beauftragt, die Arbeit der Stadtverwaltung und des Bezirksamtes zu überwachen. Als erste Amtshandlung ernennt Bösing den SA-Sturmbannführer Julius Reich zum Leiter der "Angelegenheiten der Hilfspolizei" für den Bereich der Stadt und des Bezirksamtes Frankenthal.
In der Nacht wird am Schlachthof die dort gehisste alte Reichsflagge von Unbekannten heruntergerissen.
15. März 1933
Der Stadtrat wird "beurlaubt".
Das Turnerheim der VT, das Athletenheim und das Haus der Naturfreunde werden auf Anordnung der kommissarischen Kreisregierung in Speyer geschlossen.

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16. März 1933
Das Turnerheim wird von der SA besetzt. Mehrere Mitglieder der VT und der Sozialistischen Arbeiterjugend, die mit schweren Kupferdrahtkabeln bewaffnet sind, werden in der Nähe des Turnerheimes verhaftet und in den Keller des "Brauhauskellers" gebracht, wo sie über Nacht festgehalten werden. Sie müssen während der ganzen Nacht stehen. Dort treffen sie auf Mitglieder der Frankenthaler KPD, die von SA-Leuten schwer misshandelt worden sind.
17. März 1933
Der Vorsitzende des Fußballvereins Frankenthal, der jüdische Rechtsanwalt Ludwig Nachmann, legt wegen der "besonderen Verhältnisse", wie es im Protokollbuch heißt, sein Amt nieder.
18. März 1933
Die "Frankenthaler Zeitung" berichtet, dass sich in der Pfalz insgesamt 639 Personen in "Schutzhaft" befinden. 222 davon sind Mitglieder der KPD, 121 der SPD.
Auf Anordnung des Beauftragten der Obersten SA-Führung für die Stadt und das Bezirksamt (Landkreis) Frankenthal, Wilhelm Bösing, muss der zweite Bürgermeister von Eppstein, Pfeiffer (SPD), sein Amt niederlegen. Nachfolger wird der Zellenleiter der Eppsteiner NSDAP, Rudolf Stauffer.
21. März 1933

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Der am 5. März gewählte neue Reichstag tritt in der Potsdamer Garnisonkirche zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen (Tag von Potsdam). Die Abgeordneten von SPD und KPD nehmen nicht teil. Das von Propagandaminister Goebbels publikumswirksam inszenierte Treffen an einem der zentralen Orte der preußischen Monarchie soll die Kontinuität vom Preußentum zur neuen Reichsregierung deutlich machen.
In Frankenthal sind viele Häuser beflaggt. Die in Potsdam gehaltenen Reden werden auf dem Marktplatz per Lautsprecher, die die Firma Helbig angebracht hat, übertragen.
In den Schulen finden Feiern statt, die Schüler tragen "vaterländische Gedichte" vor. Um 11 Uhr läuten die Glocken der protestantischen Kirche. Am Abend zieht ein Fackelzug durch die Stadt. Am Wormser und Speyerer Tor leuchten Hakenkreuze aus elektrischen Birnen. Beteiligt am Aufmarsch sind die SA, die SS, die HJ, die Stahlhelmkapelle, die SA-Kapelle, die Stadtkapelle, die Kriegerkameradschaft, der Krieger- und Militärverein, die Sanitätskolonne, der Jägerverein, die Marinekameradschaft, Post, Eisenbahn und Feuerwehr, der Turnverein, die Turnergesellschaft, der Ruderverein, der Kanuklub, der ADAC, der Reit- und Fahrverein und Schüler des Progymnasiums und der Realschule. Eine Versammlung in Pfisters Festhalle beschließt den Abend.
22. März 1933
16 Frankenthaler, die seit dem 10. März in "Schutzhaft" genommen wurden, werden wieder freigelassen. Heinrich Müller, der Führer des Frankenthaler Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, der ebenfalls freigelassen wird, wird umgehend wieder verhaftet, da er sich beim Verlassen des Gefängnisses negativ über die Reichsregierung äußert. Neu in "Schutzhaft" wird der jüdische Rechtsanwalt Dr. Robert Blum genommen.

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23. März 1933
Anhänger der NSDAP stürmen das Arbeitszimmer von Oberbürgermeister Strasser im Rathaus und fordern ihn zum Rücktritt auf. Nach Rücksprache mit der kommissarischen Regierung in Speyer wird Strasser vorläufig beurlaubt. Zum kommissarischen 1. Bürgermeister wird der Amtsgerichtsrat Dr. Walther Stepp und zum kommissarischen 2. Bürgermeister der Stadtinspektor Eduard Reidenbach, beide seit langem Mitglieder der NSDAP, ernannt.
Danach ziehen die NSDAP-Anhänger zu den jüdischen Geschäften und fordern deren Schließung. Um "Ruhe und Ordnung" aufrechtzuerhalten, werden die Geschäfte auf Anordnung vom Beauftragten der Obersten SA-Führung, Lehrer Bösing, geschlossen.
25. März 1933
Eduard Ristelhuber, der Leiter des nationalsozialistischen "Kampfbundes für deutsche Kultur" in Frankenthal wird beauftragt, alle Veranstaltungen des Volksbildungsvereins und das Programm der beiden Frankenthaler Kinos zu überwachen, damit, wie es heißt, "eine einheitliche kulturelle Arbeit dieser Einrichtungen im Sinne und Geiste des neuen Deutschland gewährleistet wird.
Die Pfalzwacht, die Selbstschutzorganisation der beiden katholischen Parteien Zentrum und BVP, wird verboten.
24. März 1933
Oberstudiendirektor Karl Kleiber von der Karolinenschule, Oberbaurat Emil Gotthold von der Stadtverwaltung und Direktor Wilhelm Christ von den Städtischen Werken erklären sich nach einem Gespräch mit dem kommissarischen 1. Bürgermeister Stepp bereit, "freiwillig" auf einen Teil ihres Gehaltes zu verzichten.
Im Sitzungssaal des Rathauses werden 53 Hilfspolizisten aus den Reihen der SA, der SS und des Stahlhelm vereidigt.
26. März 1933
Der Lehrer und Künstler Martin Jais, Vorsitzender der Frankenthaler Ortsgruppe des rechtsradikalen "Stahlhelm", wird zum "Unterbevollmächtigten" für die Arbeitsämter und Orts- und Landeskrankenkassen im Bezirk Frankenthal ernannt. Er erhält den Auftrag, die Vorstandsmitglieder und Angestellten auf ihre "berufliche und politische Zuverlässigkeit" zu überprüfen.
Der Krieger- und Militärverein Frankenthal, der immerhin 422 Mitglieder hat, hält seine Generalversammlung ab und stellt sich in einer Resolution "geschlossen" hinter die neue Regierung "unseres großen Führers im Krieg Generalfeldmarschall von Hindenburg sowie unseres neuen Reichskanzlers Hitler". "Deutschland ist wieder deutsch", so der Vorsitzende Ludwig Bretz in seiner Rede.
27. März 1933
"Dem Wunsch weiter Bevölkerungsteile Rechnung tragend" werden in der Stadt und in Flomersheim Straßen und Plätze umbenannt. Aus dem Friedensring wird der Hindenburgring, aus der Karl-Marx-Straße die Bismarckstraße, aus der Johann-Fesser-Straße die Horst-Wessel-Straße, aus der Georg-Metz-Straße die Schlageter-Straße, aus dem Platz der Republik der Jahnplatz und in Flomersheim aus der Kleinfeldstraße die Jahnstraße und aus dem Platz am alten Kriegerdenkmal der Hindenburgplatz.
28. März 1933
In der Stadt werden Flugblätter gegen jüdische Geschäfte, Warenhäuser und den Konsumverein verteilt.
Der Bürgermeister von Eppstein, Georg Magin, Mitglied der katholischen Zentrumspartei, der seit 16 Jahren die Geschicke des Ortes leitet, legt sein Amt nieder.
29. März 1933
Vor den jüdischen Geschäften in Frankenthal stehen SA-Posten, die Schilder mit folgender Aufschrift tragen: "Solange im Ausland Juden gegen Deutschland hetzten, betritt kein Deutscher ein jüdisches Geschäft": Gleichzeitig ordnet Oberbürgermeister Stepp an, dass die städtischen Bediensteten und ihre Angehörigen nicht mehr in jüdischen Geschäften einkaufen dürfen.
Bernhard Sang, einer der bekanntesten Frankenthaler Sozialdemokraten und in den 20er Jahren zeitweilig Abgeordneter im bayerischen Landtag, der als Wohnungspfleger bei der Gemeinnützigen Baugesellschaft arbeitet, wird entlassen.
Das Bürgermeisteramt teilt mit: Berufsschuldirektor Fritz Scherer, Stadteinnehmer Heinrich Fuchs und Amtsrat August Fett haben "mit Rücksicht auf die derzeitigen Verhältnisse freiwillig auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet."
30. März 1933
Beim Landgericht Frankenthal wird ein Sondergericht eingerichtet. Es ist zuständig für politische Delikte nach der sogenannten "Reichstagsbrandverordnung" vom 28.2.1933 und der "Heimtückeverordnung" vom 21.3.1933 und ist der Funktion nach eine Spezialkammer zur Ausschaltung politischer Gegner des NS-Regimes.
Die Hauptbuchhalter Jean Schlupp, Ludwig Weyland und Lorenz Drescher von der Stadtverwaltung werden eine Besoldungsgruppe zurückgestuft.
Die "Frankenthaler Zeitung" meldet: "Mit Rücksicht auf die in Erwerbslosenkreisen herrschende Notlage hat Polizeiinspektor Buhles seine beim Bezirksamt (Landratsamt) Frankenthal beschäftigte Tochter zugunsten einer Kriegerwaise freiwillig aus dem Beruf zurückgezogen."